Belgiens Gefängnisbevölkerung seit Jahren erstmals unter 10.000
Die VRT-NWS-Redaktion hat am Sonntag vernommen, dass die Anzahl der Gefängnisinsassen seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder unter der Rekordanzahl von 10.000 Personen liegen soll. Genauer gesagt leben gegenwärtig 9.984 Frauen und Männer in Belgien hinter Gittern.
Die Überbevölkerung in belgischen Haftanstalten ist ein besonders hartnäckiges Problem, für das Belgien harsche Kritik vom Europarat einstecken musste. Die Niederlanden verweigerten sogar die Auslieferung belgischer Verdächtiger, weil die unmenschlichen und degradierenden Haftbedingungen in belgischen Gefängnissen gegen die Menschenrechte verstoßen.
Um nur das Beispiel der Vollzugsanstalt Lantin in Lüttich aufzugreifen: Obwohl das Hochsicherheitsgefängnis nur für 600 Insassen gebaut wurde, befanden sich 2016 über 900 Insassen hinter den Mauern von Lantin.
Dass neuerdings weniger als 10.000 Personen inhaftiert sein sollen, hat insbesondere eine symbolische Bedeutung. Justizminister Koen Geens (CD&V, Foto oben) hatte zu Beginn seiner Amtszeit sowohl den Gewerkschaften als auch dem Parlament das Versprechen gegeben, die Überbelegung zu bekämpfen.
Ob das tatsächlich gelungen ist, kann vielleicht erst nach einer Weile mit Sicherheit behauptet werden. Fest steht aber auch, dass der Justizminister durch Maßnahmen kontrollieren kann, wer in (Untersuchungs-)Haft genommen wird und wer (vorläufig) frei kommt.
Eine Woche drin, eine Woche draußen
Koen Geens veranlasste im Sommer 2017 eine Verlängerung des Hafturlaubs. Seitdem können bestimmte Häftlinge eine Woche Hafturlaub im Wechsel mit einer Woche Gefängnis bekommen. In der Praxis bedeutete dies, dass eine Zelle von 2 Häftlingen geteilt wird.
Mehr Einfluss auf die Gefängnisbevölkerung dürfte der Vollzug (oder auch nicht) kurzer Gefängnisstrafen haben. In einem Rundschreiben von 2017 wurde beispielsweise festgelegt, dass eine dreimonatige Haftstrafe nur einen Monat effektiv hinter Gittern bedeutet. Wer zu 3 Jahren verurteilt wird, muss nur 8 Monate 'sitzen'.
Nicht zuletzt spielt auch die Entwicklung der Kriminalität insgesamt eine Rolle: Vor 10 Jahren waren auf internationaler Ebene noch 1 Million Straftaten erfasst worden. 2017 war die Anzahl auf 860.000 Straftaten gesunken. Auch diese Entwicklung wirkt sich positiv auf die belgische Gefängnislage aus.
Nicht zuletzt zeigen auch die umstrittene Abschiebepolitik von Staatssekretär Theo Francken (N-VA) (weniger verurteilte Personen ohne Aufenthaltspapiere) sowie das neue Internierungsgesetz (zahlreiche Häftlinge mit einer psychischen Krankheit wurde in die neuen Zentren verlegt) ihre Wirkung.
Kehrseite der Medaille
Dass die Anzahl der Häftlinge unter die 10.000-Personen-Schwelle fällt, ist ebenfalls auf neue Strafmethoden zurückzuführen. Statt Zelle wird einer Reihe von Verurteilten neuerdings elektronische Fußfesseln verordnet. Ihre Anzahl hat sich in den letzten Jahren verfünfacht.
Andererseits hat das belgische Justizwesen in den letzten Jahren ebenfalls neue Haftanstalten bauen lassen. Die Zahl der Zellen ist seit 2003 von 7.986 auf 9.687 im Jahr 2016 gestiegen.