Belgien bekommt erstmals eine Premierministerin

Die französischsprachige Liberale Sophie Wilmès (MR) tritt die Nachfolge ihres Parteikollegen Charles Michel an der Spitze der belgischen Bundesregierung an. Damit hat Belgien erstmals in der Geschichte eine Premierministerin. Die 44-Jährige war Haushaltsministerin in der vorigen rechtsliberalen Regierung. Als die flämische N-VA im Dezember 2018 aus der Bundesregierung ausstieg, wurde Wilmès ebenfalls für die Ressorts Öffentliche Verwaltung und Wissenschaftspolitik verantwortlich.  Die neue Premierministerin der geschäftsführenden Regierung ist Mutter von vier Kindern und mit einem Australier verheiratet.

In einer ersten Reaktion sagte Sophie Wilmès,  die am Sonntag um 16 Uhr den Eid bei König Philippe abgelegt hat, sie werde alles tun, um die Stabilität und Kontinuität der geschäftsführenden Regierung zu gewährleisten.

Ihre Regierung besitzt nur 38 von 150 Sitzen in der Kammer. Trotzdem wird Sophie Wilmès es in die Geschichtsbücher schaffen, da sie die erste Regierungschefin Belgiens wird.

Sie tritt die Nachfolge von Charles Michel an, der sich auf sein neues Amt als EU-Ratspräsident vorbereiten will, das er am 1. Dezember aufnimmt.

Das Kernkabinett hat am Samstag nicht nur über diese Personalie entschieden, sondern auch über die Nachfolge von Außen- und Verteidigungsminister Didier Reynders, ebenfalls ein französischsprachiger Liberaler.  Reynders wird in der EU-Kommission von Ursula von der Leyen für Justiz und Menschenrechte zuständig sein.

Die von Wilmès bislang verwalteten Ressorts Haushalt, Öffentliche Verwaltung und Wissenschaftspolitik werden vom MR-Fraktionsvorsitzende in der Kammer, David Clarinval, übernommen.

Gratulationen

Der neuen Premierministerin wurde von allen Seiten gratuliert. Der christdemokratische Justizminister Koen Geens (CD&V) sagte, sie sei eine starke Politikerin: „Wir wünschen ihr Glück. Sie kann auf uns zählen.“

Auch Bundesvizepremierminister Alexander De Croo (Open VLD) gratulierte Wilmès und wünschte sich Kontinuität, "wenn auch nicht zu lange". Eine Anspielung auf die laufenden Verhandlungen für die Bildung einer neuen Bundesregierung nach den Wahlen im Frühjahr.

Wer ist Sophie Wilmès?

Als große Unbekannte wurde die Liberale vor vier Jahren überraschend Haushaltsministerin in der rechtsliberalen Bundesregierung aus Liberalen (MR und Open VLD), flämischen Nationalisten (N-VA) und flämischen Christdemokraten (CD&V).

Sophie Wilmès hat einen Abschluss in Kommunikation, Reklame und Marketing der Brüsseler Hochschule IHECS. Sie arbeitete zunächst bei der EU-Kommission als finanzielle Projektleiterin. In Abendkursen machte sie einen Master in Finanzen.

Ihre Tätigkeit für eine internationale Anwaltskanzlei beendete sie, um 2007 als Stadträtin in Sint-Genesius-Rhode zu werden - übrigens die flämische Gemeinde im Süden von Brüssel, aus der auch Herman Van Rompuy, der erste EU-Ratspräsident überhaupt, stammte. Zuvor war Wilmès auch Gemeinderatsmitglied in der Brüsseler Gemeinde Ukkel gewesen. 

2013 übernahm sie den Vorsitz der lokalen MR-Parteiabteilung in Flämisch-Brabant.

2014 trat Wilmès die Nachfolge von Didier Reynders im Kammerausschuss für Finanzen und Haushalt an.

Bei den Parlamentswahlen am 26. Mai 2019 wurde die liberale Politikerin erneut ins Parlament gewählt. 

Warum ausgerechnet Sophie Wilmès?

„Weil die französischsprachigen Liberalen ein neues Zugpferd brauchen“, analysiert VRT-Politikberichterstatter Johny Vansevenant die Wahl.  Die französischsprachige MR ist zurzeit die größte Partei in Belgien und diese Partei verliert jetzt zwei Zugpferde an Europa: Charles Michel wird EU-Ratspräsident und Didier Reynders EU-Kommissar.

Darüber hinaus ist Wilmès die einzige MR-Politikerin in der Bundesregierung, die Niederländisch spricht. Sie gehört zum Michel-Flügel und war also die Favoritin des scheidenden Premierministers.

 

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