Belgien: Vor einem Jahr wurde gewählt, doch eine Regierung steht immer noch nicht

Am 26. Mai 2019 fanden in Belgien Regional- und Parlamentswahlen statt. Länder und Regionen konnten recht schnell ihre Regierungen bilden, doch auf belgischer Bundesebene konnte bisher noch keine Mehrheit zur Bildung einer regulären Regierung gefunden werden. Noch immer ist eine Minderheitsregierung am Ruder, die schon vor den Wahlen von vor einem Jahr im Amt war. Angesichts der Coronakrise wurde diese vom Parlament mit Vollmachten ausgestattet, doch diese laufen bald aus bzw. müssen verlängert werden. 

Das Mandat der geschäftsführenden Minderheitsregierung von Premierministerin Sophie Wilmès (MR) läuft im September aus. Die Regierung Wilmès wurde von insgesamt 10 Parteien in der Ersten Kammer des belgischen Bundesparlaments (Foto) mit Sondervollmachten zur Bewältigung der Coronakrise ausgestattet, doch Mitte Juni müssten diese verlängert werden. Im September ist dieses Mandat nach sechs Monaten endgültig abgelaufen und die Premierministerin muss die Vertrauensfrage stellen.

Logisch wäre also, wenn im September eine neue Regierung die Geschäfte übernehmen würde, am besten sogar eine reguläre Regierung mit einer Mehrheit. Doch in Sachen Regierungsbildung konnte bisher noch nichts Konkretes zustande gebracht werden. Mehrmals berief König Philippe in den vergangenen 365 Tagen Informatoren zur Sondierung von Koalitionsgesprächen, doch diese Aufträge verliefen ergebnislos.

Das Problem ist, dass sich die beiden stärksten Parteien auf belgischer Landesebene - die nationaldemokratische N-VA in Flandern und die sozialistische PS in der Wallonie - nach wie vor gegenseitig ausschließen, obschon gerade sie der politischen Logik zufolge entsprechende Verhandlungen führend in die Weg leiten müssten. Inzwischen laufen Parteiengespräche und mehrmals standen Formen von Mehrheiten im Bereich des Möglichen, doch wie konkret diese Gespräche hinter den Kulissen verlaufen, ist nicht wirklich deutlich und Beobachter und die Medien können nur spekulieren.

Inzwischen tun sich zwischen der PS und der N-VA übrigens neue Gräben auf. PS-Parteichef Paul Magnette konstatiert bei einigen flämischen Parteien den Wunsch, das Gesundheitssystem aus der Zuständigkeit der Länder und Regionen (mit insgesamt 9 Gesundheitsministern) wieder an die belgische Bundesebene zu übertragen. Die Coronakrise habe gezeigt, so Magnette, dass hier besser alles in einer Hand liegen müsste und gibt gleichzeitig an, in diesem Sinne bei Koalitionsverhandlungen eine neue Staatsreform ins Gespräch zu bringen.

Genau davon will N-VA-Parteipräsident Bart De Wever, ein überzeugter flämischer Nationalist, überhaupt nichts wissen. Jede Region im Land müsse mit eigenen Mitteln und eigener Entscheidungsfreiheit die Gesundheitspolitik betreiben, die für sie am besten ist. Einer Rückgabe von regionalen Zuständigkeiten an den belgischen Föderalstaat wiedersetzt sich De Wever mit allen Kräften. 

Nicht erst seit gestern steht auch das Thema Neuwahlen im Raum. Doch dies fürchten die Parteien „wie der Teufel das Weihwasser“. Das hat zwei Gründe: Zum einen kann sich Belgien eine neue endlose Phase von glücklosen Versuchen zur Bildung einer neuen Regierung nicht mehr leisten (in jeder Hinsicht nicht) und zum anderen spüren die traditionellen Parteien nach den letzten Umfragewerten den Atem der extremen Parteien im Nacken. Der rechtsradikale Vlaams Belang wäre laut der letzten Sonntagsfrage in Flandern die stärkste Partei und die linksextreme kommunistische Arbeiterpartei PVDA/PTB würde in allen Landesteilen zulegen… 

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