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Die Zeit nach Corona: Brüssel muss sich neu erfinden

Die belgische und europäische Hauptstadt Brüssel hat den Lockdown durch Corona genutzt, um sich Gedanken über die Gegenwart und die Zukunft zu machen. Dabei hat sich die Stadt in einigen Bereichen neu erfunden und denkt, sich aufgrund von diesen neuen Erkenntnissen weiterzuentwickeln. Vor allem verkehrstechnisch ist hier einiges in Bewegung. Davon soll auch in naher Zukunft der Tourismus profitieren.

Am Anfang war die Sache klar. Um auf die neuen Gegebenheiten rund um die staatlichen belgischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie einzugehen, mussten Fragen beantwortet werden: Wie können wir in dieser Situation aus dem Stadtzentrum eine sichere Umgebung für jeden machen? Wie können wir in diesen Zeiten den Verkehr umgestalten, damit hier auch Fußgänger und Radfahrer sicher(er) unterwegs sein können?

Ende April entschied sich die Stadt dafür, in dieser Zeit Fußgängern und Radfahrern Vorfahrt vor den Autos zu gewähren und senkte die zulässige Geschwindigkeit im gesamten „Fünfeck“, so bezeichnet Brüssel den weiteren Innenstadtbereich innerhalb des inneren Rings, auf 20 km/h für alle Fahrzeuge. Dies war auch nötig, um Platz zu schaffen, damit sich Fußgänger nicht zu nahe kommen und ausweichen können. Diese verkehrsberuhigte Zone trat am 11. Mai in einer für drei Monate geltenden Testphase in Kraft und umfasst ein Gebiet von 4 Quadratkilometern.

Und angesichts der Tatsache, dass viele Brüsseler und jene Pendler, die weiterhin in die Hautstadt fahren, auf die öffentlichen Verkehrsmittel eher verzichten und auf das Fahrrad umstiegen (Busse und Bahnen gelten als Covid-19-gefährlich, weil dort die Abstandsregeln zum „social distancing“ nicht unbedingt eingehalten werden können) musste auch hier reagiert werden.

Die Region Brüssel-Hauptstadt sorgte im Zuge dessen dafür, dass rund 40 km zusätzliche Radwege angelegt wurden, in dem z.B. auf größeren Achsen Fahrstreifen für Autos gesperrt und für Radfahrer geöffnet werden konnten, u.a. im Europaviertel und in der vielbefahrenen Wetstraat/Rue de la Loi, eine wichtige Einfallstraße in Richtung Zentrum.

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Wetstraat/Rue de la Loi

In eigentlich permanent staugeplagten Brüssel ging der Autoverkehr am Anfang der Coronazeit deutlich zurück und auch im Zuge der phasenweisen Lockerung der Maßnahmen wurde er nicht wirklich dichter und staugefährlicher. Damit sanken auch die Schad- und Feinstaubwerte sowie die Lärmpegel.

Hierauf will Brüssel in Zukunft tiefer eingehen. Das bedeutet, dass „business as usual“ nach dem Ende des Lockdowns (wann immer das auch definitiv sein wird) nicht unbedingt angesagt ist. Vielleicht werden einige Bereiche, wie die zulässige Richtgeschwindigkeit im Innenstadtbereich und die Umwidmung von Fahrstreifen auf den Straßen zu Radwegen in Teilen beibehalten oder zumindest in diese Richtung angepasst, so denken viele Beteiligte laut…

Brüssel soll zum Citytrip für Gäste aus dem Inland werden

Der Tourismus und damit auch die Gastronomie in Brüssel sind vom notwendigen Corona-Notstand und den entsprechenden Maßnahmen durch die belgische Bundesregierung schwer gebeutelt worden. Museen mussten schließen, die Geschäfte und die Gastronomie ebenfalls. Veranstaltungen aller Art wurden abgesagt und schon ein einfacher Spaziergang durch die Stadt war lange unmöglich und nur den Bewohnern der Hauptstadt vorbehalten.

Jetzt gilt es auch hier, nach Corona neuen Schwung in die Sache zu bringen und zwar unter gänzlich neuen Voraussetzungen. Es sieht danach aus, dass Urlaubsreisen ins Ausland im kommenden Sommer nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein werden und dass Besucherströme aus dem Ausland weitgehend ausbleiben. Das wird wohl nicht nur daran liegen, dass Fernreisen und Strandurlaube schwierig umzusetzen sind, sondern auch daran, dass die Leute vorsichtig bleiben, wie sich nach den ersten Lockerungen in Stadt und Land gezeigt hat. Sogar ein Tagesausflug an die Strände an der belgischen Nordseeküste kann nicht spontan unternommen werden und muss wohl genau geplant sein.

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Genau hier will Brüssel in Sachen Tourismus ansetzen. Pascal Smet (one.brussels/SP.A), Staatssekretär für Städtebau und Kulturerbe sowie für internationale Beziehungen der Region Brüssel-Hauptstadt, sagte dazu gegenüber der Brüsseler Nachrichtenplattform BRUZZ: „Es gibt nur einen Weg. Wir müssen voll und ganz auf Citymarketing setzen.“ Smet weiß, dass schnell und adäquat reagiert werden muss: Die Hotelbelegung liegt derzeit bei rund 1 %, das Atomium, eines der Wahrzeichen der Hauptstadt und des gesamten Landes, steht vor der Pleite und auf dem Grand‘ Place, dem schönsten Platz Brüssels, wächst Gras zwischen den Kopfsteinen…

Da, wie bereits oben beschrieben, die meisten ausländischen Gäste in absehbarer Zeit mehrheitlich ausbleiben werden, setzt das Fremdenverkehrsamt Visit.Brussels auf eine Marketingkampagne, die sich an die Touristen im eigenen Land richtet. Das wird nicht einfach sein, so Staatssekretär Smet: „Die Menschen im Land sagen, dass die Städte Corona-Brutstätten sind, in denen kein „sozialer Abstand“ möglich ist. In diese Falle sollten wir nicht tappen. Die Städte werden ihre Anziehungskraft nicht verlieren. Das Stadtleben kommt zurück und irgendwann werden wir es satt haben, nur noch über den Bildschirm miteinander zu sprechen.“

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De Brouckère, noch fast menschenleer...
Andreas Kockartz

Die beiden Lockdown-Phasen nach den Anschlägen auf Paris und Brüssel 2015 und 2016 sowie der Brexit haben erwiesen, dass Brüssel weltweit nicht unbedingt ein hohes Ansehen genießt und deshalb sind neue Vorgehensweisen in Sachen Tourismus in Verbindung mit der Coronakrise kein leichtes Unterfangen. Das wissen alle Beteiligten. Auch deshalb sollen zunächst einmal die Menschen in den anderen Regionen in Belgien, in Flandern, in der Wallonie und in Ostbelgien angesprochen werden.

Die Idee von u.a. Staatssekretär Smet ist, Brüssel als ersten Citytrip zu empfehlen: „Viele Belgier kennen Brüssel nicht. Doch es ist angenehmer, weil weniger Autos unterwegs sind. Am besten werden alle neuen Rad- und Spazierwege in Brüssel schnell eingerichtet, damit wir den öffentlichen Raum hier enger verbinden können. Hoffentlich können bald wieder einige Gastronomiebetriebe ihre Terrassen öffnen…“

Brüssel will nicht nur die weltbekannten Museen und Sehenswürdigkeiten, wie Atomium, Manneken Pis, Mini Europa, Grand’Place usw. empfehlen, sondern auch die vielen „hidden germs“ promoten, also Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten, die nicht unbedingt vorne an in den Reiseführern stehen und die auch außerhalb der eingetretenen Pfade im historischen Stadtzentrum zu finden sind. Brüssel besteht ja nicht nur aus dieser Innenstadt und dem Europaviertel. Stadt und Region haben unfassbar viel zu bieten. Man muss nur ein bisschen suchen und dabei wollen nicht nur Visit.Brussls und die Politik helfen.

Andreas Kockartz

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