Droht ein brexit-ähnlicher Zustand wegen Ungarn?
Der ungarische Premierminister Victor Orban droht, ein Veto gegen den Haushalt und das milliardenschwere Corona-Hilfsprogramm der EU einzulegen, wenn die Mittel von der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden. Jetzt befürchtet Johan van Overtveldt (oben), EU-Abgeordneter für die flämische Nationalisten, einen Konflikt von brexitähnlichem Ausmaß.
Das Schreiben wurde an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gesendet, an die Vorsitzende der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und an den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel.
Das Europäische Parlament und Deutschland, das im Namen der 27 Staats- und Regierungschefs verhandelte, haben am Donnerstag beschlossen, dass der künftige Haushalt und die Zuteilung der Mittel davon abhängen soll, ob rechtsstaatliche Prinzipien (unabhängige Justiz, Pressefreiheit usw.) eingehalten werden. Dieses Vorhaben, das noch nicht mit qualifizierter Mehrheit ratifiziert worden ist, hat sofort Unmut in Polen und Ungarn geweckt. Beiden Staaten wird vorgeworfen, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben.
Kein Bluff-Poker
Bisher glaubte man, Viktor Orban spiele Bluff-Poker, weil sein Land dringend europäische Gelder benötigt. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass er nicht blufft und an seiner Position festhalten will", erklärte der Europaabgeordnete Johan Van Overtveldt (N-VA) am Freitagabend in „De Afspraak op vrijdag“ (VRT).
„Eine einzige Person kann 750 Milliarden Euro blockieren, Geld, das in verschiedenen Bereichen dringend benötigt wird. Wenn das passiert, steht eine zweite brexit-ähnliche Krise vor der Tür“, sagt Johan Van Overtveldt, der die Verhandlungen über den EU-Haushalt aufmerksam verfolgt.
Van Overtveldt zufolge ist der aktuelle Vorschlag für den Haushalt und den Schutz der Rechtsstaatlichkeit bereits ein Kompromiss und eine Abschwächung. „Trotzdem will Orban nicht nachgeben.“
Am Ende eines Gipfeltreffens im Juli einigten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf einen EU-Haushalt in Höhe von 1,074 Milliarden Euro für die Jahre 2021-2027 und einen Konjunkturplan für die Zeit nach der Corona-Krise von 750 Milliarden Euro.
Über die Modalitäten des mehrjährigen Haushalts war zäh zwischen EU-Parlament und Rat verhandelt worden. Jeder Kompromiss muss einstimmig von den Abgeordneten und den 27 Mitgliedstaaten gebilligt werden.
Wenn Ungarn sich weigert, kann der neue Haushalt im Januar nicht in Kraft treten.
Deutschland muss eine Lösung finden
„Die deutsche Ratspräsidentschaft muss sich mit dem Problem befassen und zweifellos werden Zugeständnisse an Orban gemacht werden müssen“, vermutet der flämische EU-Parlamentarier.
Der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus war von den Europaabgeordneten ausdrücklich gefordert worden.
Deutschland hatte Ende September eine Mehrheit bei den Mitgliedstaaten für einen Rechtsstaatskompromiss erreicht. Neun Staaten stimmten dagegen, darunter Ungarn und Polen.