Corona-Maßnahmen in Belgien: Der einmal mehr schwer geprüfte Kultursektor macht mobil
Im Kultursektor in Belgien rumort es gewaltig, nach dem der Konzertierungsausschuss aus Bund, Ländern und Regionen eine dahingehende Verschärfung der Corona-Maßnahmen beschlossen hat, nach der bis auf die Museen alle Kulturstätten bis Ende Januar zu schließen haben. Laut einer Statistik des Wirtschafts-Beratungs-Unternehmens Graydon haben bereits jetzt 20 % aller Kultur- und Veranstaltungsunternehmen in Flandern enorme finanzielle Probleme und weitere 16 % sind akut in ihrer Existenz bedroht. Die flämische Landesregierung sagte dem Sektor erneut Unterstützung zu.
Vor der Corona-Pandemie im März 2020 waren im belgischen Bundesland Flandern rund 95 % aller Kulturunternehmen finanziell mehr oder weniger gut aufgestellt, so Graydon, doch im Zuge dieser Gesundheitskrise ging es bei vielen Betroffenen bergab. „Derzeit haben 20 % aller Kultur- und Veranstaltungsunternehmen enorme finanzielle Probleme und weitere 16 % haben so schwere Probleme, dass ihr Weiterbestehen bedroht ist“, sagte Eric Van den Broele von Graydon gegenüber VRT NWS.
„Der Impakt der Coronakrise auf diesen Sektor ist also auf keinen Fall zu unterschätzen, und doch gelingt es der Mehrheit der Unternehmen noch immer, über Wasser zu bleiben. Noch 58 % aller Kulturunternehmen sind resistent“, so Van den Broele weiter. Das bedeutet, dass diese Unternehmen vorerst über ausreichende finanzielle Reserven verfügen, um noch eine Zeit lang durchzuhalten.
Steht der Kultursektor in Flandern besser da, als der Rest der Wirtschaft?
Das mag angesichts der Proteste aus diesem Sektor seltsam klingen, doch Graydon gibt an, dass diese Statistiken alle Bereiche in diesem Sektor betreffen würden: Kinos, den Kunstsektor, die Museen, die audiovisuellen Medien, Architektur usw.
Und es sind alle kleinen und großen Unternehmen aus diesem Bereich darin zusammengefasst: Vereinigungen ohne Gewinnerzielung, Stiftungen, Ein-Personen-Unternehmen (Schauspieler, Zirkusartisten, bildende Künstler, Musiker, kreativ Schaffende…). Insgesamt wurden rund 44.000 Unternehmen in ganz Flandern untersucht. Die Statistik wurde im Rahmen einer Untersuchung des flämischen Kulturministeriums aufgestellt.
Aber, so Graydon-Mann Eric Van den Broele, die allgemeinen Reserven in Kulturbereich sind enorm geschrumpft. Gegenüber anderen Wirtschaftssektoren steht der flämische Kultursektor aber vergleichsweise noch gut da: „Schaut man sich alle flämischen Unternehmen an, dann sind momentan noch 47 % aller Unternehmen resistent, doch um Kulturbereich sind das noch 58 %.“
Und doch ist der Sektor schwer getroffen
Trotz der Tatsache, dass es Teilen des Kulturbereichs in Flandern, wie die Zahlen von Graydon vermuten lassen, trotz Corona noch recht gut geht und dass viele Unternehmen aus diesem Bereich mit Unterstützung aus der Landeskasse (noch) überleben können, bäumt sich der erneut von der Corona-Konzertierung getroffene Sektor auf.
Bai Graydon ist nämlich auch festzustellen, dass es rund 6.000 Kulturunternehmen schlecht geht und dass aus diesem Grunde etwa 8.000 Arbeitsplätze akut in Gefahr sind. Seit März 2020 konnte ein Großteil der Unternehmen aus dem Sektor nicht mehr mit voller Kapazität arbeiten. Und jetzt muss wieder alles für die Dauer eines Monats geschlossen werden. Vor dem Hintergrund, dass der Sektor enorm in Maßnahmen investiert hat, die Veranstaltungen coronasicher durchführen zu können (Luftfilter, Umluftmessgeräte, Hygienemaßnahmen, weniger Zuschauer…) ist die Wut groß.
„Es gibt keinen nachweislichen Beweis dafür, dass es in unserem Sektor zu mehr Ansteckungen gekommen ist, als anderswo, wo Menschen zusammenkommen. Es ist zum Verzweifeln, dass unser Sektor auf die Anklagebank gesetzt wird“, so Bruno Schaubroeck von der Event Confederation, dem Dachverband des flämischen Event- und Kultursektors. Nach Ansicht von Leen Laconte vom Dachverband der flämischen Kunstorganisationen (OKO) wird es mindestens 5 Jahre lang dauern, bis sich der Sektor von Corona wieder erholt hat: „Die Verluste in 2021 sind groß und die Zahlen sind rot. Wir brauchen jetzt einen Notfonds 2.0.“
JoJo-Politik
Der gesamte Kultur- und Veranstaltungssektor in Belgien bäumt sich auf und zählt auf, wer neben den direkt existentiell betroffenen Mitarbeitern auch noch indirekt betroffen ist: Bühnenbauer, Ton- und Lichttechniker, Cateringunternehmen, Hotels, Zeitarbeitskräfte und Studierende, die keine Jobs mehr finden und, und, und…
Dass die Politik auf Landes- und Bundesebene mal wieder auf den Kultursektor zielt, macht viele betroffen und nicht nur im Sektor selbst. Der bekannte Virologe Marc Van Ranst drückte das folgendermaßen aus: „Der Glühwein hat gegen die Kultur gewonnen.“ Dessen Kollege Ives Van Laethem zeigte sich ebenfalls enttäuscht: „Was wir hier sehen, ist nicht mehr rational zu erklären.“
Und in der diesbezüglichen Debatte in der Ersten Kammer des belgischen Bundesparlaments waren sogar Abgeordnete der Mehrheitsparteien gegen die erneute Schließung des Kultursektors. Die Regierungen stehen von allen Seiten unter Beschuss.
Inzwischen kündigten zahlreiche Theater, Kinos und andere Kultureinrichtungen an, sich nicht an das Maßnahmenpaket und die Schließungen zu halten und trotzdem zu öffnen. Geschlossene Theater wollen z.B. ihre Kulturcafés und Bistros öffnen, um dort zu protestieren.
Flanderns Landeschef Jan Jambon (N-VA), seines Zeichens auch Landeskulturminister, hat sich am Donnerstag bereits mit dem Kultursektor zusammengesetzt, um zu beraten, welche neuen Unterstützungsmaßnahmen jetzt erforderlich sind.
Doch konkret ist noch nichts, wie Bruno Schaubroeck von der Event Confederation danach sagte: „Das sorgt für viel Kopfschmerzen. Wir brauchen dringend Ruhe im Sektor. Die Regierung muss unmittelbar Unterstützungsmaßnahmen ankündigen, wenn es zu Schließungen kommt. Die Leute müssen wissen, wo sie dran sind.“