Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg: AKW’s Tihange 3 und Doel 4 bleiben 10 Jahre länger am Netz
Der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie wird in Belgien im Jahr 2025 dann doch nicht stattfinden. Die Bundesregierung will die beiden jüngsten Atomreaktoren – Tihange 3 (Foto) und Doel 4 - noch 10 Jahre länger in Betrieb halten. Auf diese Weise will die Regierung mittelfristig die Sicherheit der Stromversorgung in unserem Land gewährleisten. Es müssen jedoch noch Gespräche mit dem Betreiber, dem französischen Energiekonzern Engie - geführt werden. Gleichzeitig stellt die Regierung mehr als 1 Milliarde Euro bereit, um die Umstellung auf erneuerbare, nachhaltige Energien zu beschleunigen.
Nach stundenlangen Verhandlungen hat das Bundeskabinett - wie erwartet – Freitagnacht beschlossen, die Atomreaktoren Doel 4 und Tihange 3 im Jahr 2025 dann doch nicht abzuschalten. In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien noch den 2003 beschlossenen Atomausstieg unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit "bestätigt ". Der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie war ein zentraler Programmpunkt der beiden grünen Parteien (Groen und Ecolo) in der Regierung.
Doch die Regierung will die beiden jüngsten Kernkraftwerke nun wohl länger in Betrieb halten. Ein vollständiger Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2025 war bereits seit einiger Zeit im Gespräch, auch innerhalb der Regierung, wo sich insbesondere die französischsprachigen Liberalen dagegen aussprachen.
Unter dem Druck der in letzter Zeit sehr hohen Gaspreise (Gaskraftwerke sind eine direkte Alternative, um den Atomausstieg aufzufangen) und der russischen Invasion in der Ukraine (Russland ist ein wichtiger Gaslieferant) haben die grünen Parteien vor kurzem umgeschwenkt und den ursprünglich geplanten Atomausstieg erstmal aufgegeben.
Dies dürfte die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen in turbulenten geopolitischen Zeiten stärken
Quid Engie?
Die Bundesministerin für Energie, Tinne Van der Straeten (Grüne), hat nun von der Regierung den Auftrag erhalten, mit Engie, dem französischen Betreiber der Kernkraftwerke in unserem Land, über eine längere Laufzeit von Doel 4 und Tihange 3 zu verhandeln. Minister Van der Straeten wird diese Verhandlungen gemeinsam mit Premierminister Alexander De Croo (Open VLD) führen.
Verhandlungen, die wahrscheinlich mit einem hohen Preis verbunden sind, obwohl die Vorsitzende der flämischen Grünen, Meyrem Almaci, betonte, Engie werde keinen Blankoscheck erhalten. "Alles, wofür Engie heute verantwortlich ist, bleibt auch weiterhin in seiner Verantwortung", stellt Minister Van der Straeten klar. Es geht unter anderem um Milliardenbeträge für die Entsorgung von Atommüll.
Nach Angaben von Premierminister De Croo gab es in den letzten Wochen "viele Kontakte" mit Engie. "Wir werden mit ihnen in einer respektvollen Art und Weise verhandeln, und ich bin sicher, dass sie das Gleiche mit uns tun werden.“
Gas
Die beiden neuesten Kernreaktoren 10 Jahre länger in Betrieb zu halten, wird nicht ausreichen, um die Versorgungssicherheit des Landes mit Strom zu gewährleisten. Deshalb hat die Regierung auch beschlossen, dass zwei weitere Gaskraftwerke in Betrieb genommen werden sollen. "Wir haben festgestellt, dass das Gaswerk in Vilvoorde nicht die erforderlichen Genehmigungen erhalten hat", erklärte Premierminister De Croo in diesem Zusammenhang. Das war eine Entscheidung der damaligen flämischen Regierung. "Aber die Arbeit von Elia (dem Betreiber des Hochspannungsnetzes, Anm. d. Red.) hat gezeigt, dass genügend gleichwertige, lebensfähige Kapazitäten vorhanden sind."
Der verlängerte Betrieb der Kernkraft wird mit der Zeit eine effiziente Umstellung auf mehr erneuerbare Energien ermöglichen
Wind und Sonne
Darüber hinaus gibt es auch ein Maßnahmenpaket zur Förderung der Erzeugung nachhaltiger Energie. Dazu gehört die Senkung der Mehrwertsteuer auf 6 Prozent für Wärmepumpen, Solaranlagen und Solarpaneele für dieses und nächstes Jahr. Die Mehrwertsteuerermäßigung gilt für Wohnungen, die weniger als zehn Jahre alt sind. Außerdem wird es zusätzliche Investitionen in Windparks auf See geben. In den Bahnhöfen der belgischen Bahn NMBS/SNCB werden Solarzellen und intelligente Ladestationen installiert. Wo es möglich ist, werden auch auf den Dächern von Regierungsgebäuden Sonnenkollektoren installiert.
Die Regierung hat insgesamt etwa 1,2 Milliarde Euro für die Energiewende bereitgestellt. Die Grünen hatten ursprünglich einen Plan in Höhe von 8 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt, mussten sich aber schlussendlich mit weniger zufrieden geben.
"Wir sind auf schmerzhafte Weise von Energie aus dem Ausland abhängig. Diese Abhängigkeit zehrt an unseren Geldbörsen. Heute ging es darum, wie wir strukturell unabhängig werden können und wie wir dies im Bereich der erneuerbaren Energien beschleunigen können", sagte die Bundesministerin für Energie Tinne van der Straeten (Grüne). "Diese Beschleunigung ist beispiellos. Ich bin heute eine glückliche Energieministerin."
Laut Ministerin Van der Straeten ist diese Umstellung auf erneuerbare Energien auch für den Fall wichtig, dass der Betreiber Engie einer Verlängerung der beiden jüngsten Atomreaktoren in unserem Land nicht zustimmt.