Ventilus: Anwohner protestieren gegen geplante neue Hochspannungsleitung in Westflandern
Die Pläne für das Ventilus-Projekt lösen bei den Bewohnern Westflanderns große Besorgnis über Strahlen- und Gesundheitsrisiken aus. Doch die neue Hochspannungsfreileitung ist nach Ansicht des Energieexperten Joannes Laveyne absolut notwendig: "Wir setzen auf Ventilus, um billigen Strom aus dem Ausland zu bekommen".
Man sieht sie entlang der westflämischen Autobahnen: die Protestschilder gegen Ventilus. Diese neue Hochspannungsleitung soll Strom von Windparks auf dem Meer ins Landesinnere transportieren. Bevor sie an eine bestehende Freileitung angeschlossen werden kann, muss zunächst eine neue Hochspannungsleitung zwischen Jabbeke und Izegem gebaut werden. Jetzt, da die flämische Regierung eine Entscheidung in dieser Angelegenheit fällen wird, verstärken die Anwohner ihren Protest.
Warum ist das Ventilus-Projekt notwendig?
Gegenwärtig wird die Küstenregion durch eine einzige Hochspannungsleitung versorgt: die Stevin-Leitung. "Das ist riskant", meint der Energieexperte Joannes Laveyne (Universität Gent). "Wenn es technische Probleme gibt und diese Leitung ausfällt, könnte das dazu führen, dass die Küstenregion ohne Strom dasteht."
Aber es geht noch weiter, denn auch in Europa rechnet man mit der Lieferung von Offshore-Windenergie, sagt Laveyne. "Wenn diese eine Leitung ausfällt, könnte dies ganz Belgien und sogar Europa mit einem sehr weitreichenden Stromausfall treffen.“
Wenn die bestehende Leitung ausfällt, könnte die Stromversorgung der Küstenregion nicht mehr garantiert werden
Ein Backup für das bestehende System ist daher notwendig: "Die Zielsetzung von Ventilus ist es, die bestehende Leitung zu doppeln, damit sichergestellt wird, dass eine zweite Leitung den Strom ins Landesinnere transportieren kann", heißt es.
Wie dringend ist das Ventilus-Projekt?
Laveyne ist von der Dringlichkeit des Projekts überzeugt: "Es ist sogar ziemlich dringend". Nach Angaben des Energieexperten hat sich das gesamte Projekt bereits um zwei Jahre verzögert, unter anderem wegen einiger technischer Doppelkontrollen. "Normalerweise sollte der Bau in eineinhalb Jahren beginnen, aber es wird definitiv später werden. "
Laveyne weist darauf hin, dass Ventilus für die geplanten Lieferungen von Windenergie in der Zukunft benötigt wird. "Es wird eine zweite Windkraftanlagenzone auf See geben, aber sie hängt von Ventilus ab, um die Energie sicher an Land zu bringen. Genauso wie andere Projekte, um billigen Windstrom aus dem Ausland zu bekommen, wie z.B. die zusätzlichen Verbindungsleitungen mit dem Vereinigten Königreich oder Dänemark".
Wie steht es um die Bedenken der Anwohner hinsichtlich der Strahlungsgefahren?
So wichtig und notwendig Ventilus für die Versorgung mit grüner Energie und die Einhaltung der Klimaziele auch sein mag, die Anwohner protestieren, weil sie sich Sorgen um die Strahlung und ihre Gesundheit machen.
"Man liest in Studien über die Auswirkungen auf die Gesundheit", sagt Andy Devooght, ein Landwirt, der in der Region lebt. " Es kann zu Leukämie oder einem Gehirntumor führen. Das darf man nicht unterschätzen."
Dass die Strahlung solcher Hochspannungsleitungen bei Kleinkindern Krebs verursacht, ist laut Guy Vandenbosch, Strahlenexperte an der KU Leuven, nicht bewiesen: "Es gibt einen statistischen Zusammenhang, aber es geht um eine sehr geringe Anzahl von Fällen bei Kindern pro Jahr, bei großen Bevölkerungszahlen. Meiner Meinung nach sollten Sie dies mit anderen Risiken des Lebens vergleichen, z. B. wenn Sie Ihr Kind mit dem Fahrrad zur Schule schicken. Ich denke, das ist ein viel größeres Risiko".
Oberirdisch oder unterirdisch?
So gering das Strahlenrisiko für Kinder auch sein mag, die Anwohner wollen ihre eigenen Kinder diesem Risiko nicht aussetzen. Sie sind auch nicht gegen das gesamte Ventilus-Projekt, aber sie fordern, dass die Leitung unterirdisch verlegt wird.
"Eine Hochspannungsleitung mit so hohen Spannungen und Strömen wie bei Ventilus lässt sich aufgrund einer Reihe physikalischer Beschränkungen nur sehr schwer unterirdisch verlegen", sagt Laveyne.
Dennoch ist es nicht unmöglich. Das gibt es zum Beispiel in Deutschland. Dies ist auch der Energie- und Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA) nicht entgangen, die den Netzbetreiber Elia um weitere Informationen zu diesem Thema gebeten hat.
Eine unterirdische Leitung ist auch mit zusätzlichen Kosten verbunden, z. B. für Enteignung und Aushubarbeiten
Doch Laveyne macht alle Hoffnungen auf diesen alternativen Weg sofort zunichte. "Wenn Gleichstrom verwendet wird, kann man tatsächlich Kabel unterirdisch verlegen. Aber Ventilus würde mit Wechselstrom betrieben werden. Das Problem ist, dass die derzeitige Gleichstromtechnologie nicht mit den Sicherheitsbedingungen für Ventilus vereinbar ist. Sollte die Stevin-Leitung, die derzeit die Küste versorgt, ausfallen, ist nicht sicher, dass Ventilus in der Lage wäre, die Störung schnell genug zu beheben, um einen Stromausfall zu vermeiden."
Zu diesen technischen Einwänden kommt noch der Preis hinzu: Nach Ansicht von Laveyne wäre eine unterirdische Leitung wesentlich teurer. "Für eine unterirdische Gleichstromleitung müssen auch Umspannwerke gebaut werden, denn unser Stromnetz ist ein Wechselstromnetz. Außerdem fallen zusätzliche Kosten wie Enteignung und Erdarbeiten an, was bei einer Freileitung nicht der Fall ist.“
Und jetzt?
Das Projekt befindet sich auf dem Tisch der flämischen Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA, flämische Nationalisten). Sie diskutiert derzeit noch darüber, unter anderem mit wallonischen Bürgermeistern (wo eine ähnliche Debatte über eine Hochspannungsleitung im Hennegau geführt wird) und Elia (von dem sie konkrete Zahlen über die Kosten einer unterirdischen Verbindung erwartet).
Sie hofft, die Entscheidung über Ventilus noch vor dem Sommer treffen zu können. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass diese Entscheidung von den Bürgerinitiativen angefochten wird. Der Zeitplan für das gesamte Projekt ist daher höchst unsicher.