Terrorprozess nach den Anschlägen auf Brüssel: 600 Kandidaten für das Schwurgericht

600 Personen haben in den letzten Tagen ein Schreiben erhalten, nach dem sie möglicherweise zu den Geschworenen zählen, die im Prozess zu den Terroranschlägen vom 22. März 2016 urteilen müssen. Das Schwurgerichtsverfahren wird in der zweiten Jahreshälfte beginnen und soll 6 bis 9 Monate lang dauern. In dieser Zeit können die Geschworenen ihr normales Leben, auch das berufliche Leben, nicht mehr führen. Sie müssen also alles neu organisieren. Inzwischen laufen die Absagen ein, doch das ist nicht so einfach.

Der Prozess ist gigantisch. Die 12 Geschworenen müssen sich über rund 30.000 Schuldfragen beugen und mit den Fragen zu rund 900 in das Verfahren involvierten Personen und Parteien.

Ein Geschworenengericht, auch Volksjury genannt, wird in Belgien durch das Los bestimmt. Man erhält ein Schreiben, dass darauf hinweist, dass man ausgelost wurde. Dagegen kann Einspruch erhoben werden. Man muss sich also zum jeweiligen Justizpalast oder -gebäude in seiner Provinz, Region oder Gemeinde begeben, um sich zu melden. 

Brüsseler Volksjury

Im vorliegenden Fall findet der Prozess in Brüssel statt und dementsprechend sind alle durch das Los bestimmte Personen Einwohner der Region Brüssel-Hautstadt. Schwurgerichte werden auf Provinzebene organisiert.

Angesichts des Umfangs dieses Prozesses wurden 600 Personen ausgelost - Personen im Alter von zwischen 28 und 65 Jahren. Diese müssen lesen und schreiben können und dürfen in den vier letzten Monaten vor Erhalt des Schreibens nicht für ein Vergehen verurteilt worden sein.

Ausgelost. Und was dann?

Die Auslosung bzw. die Zugehörigkeit zu einem Schwurgericht wird in Belgien als eine Bürgerpflicht angesehen. Also sind Einsprüche dagegen keine Lappalie. „Ich habe keine Lust darauf“ ist z.B. keine gültige Grundlage für eine Absage. Beispiele, auf die die Justiz eingeht: Eine alleinstehende Mutter von zwei Kindern, die für die bis zu 9 Monate Prozessdauer keine Betreuung organisieren kann, wird freigestellt. Der Buchhalter eines Unternehmens mit weniger als 5 Mitarbeitern kann aufgrund eines Schreibens seines Chefs ebenfalls freigestellt werden.

Als Mitglied einer solchen Jury erhält man 50 € Vergütung pro Tag und man wird von seinem Unternehmen weiter bezahlt - dauert ein Schwurgerichtsverfahren länger als 5 Tage, dann werden Löhne und Gehälter von den Sozialdiensten übernommen. Zudem bekommt man eine Kilometervergütung. Personen, die sich grundlos nicht melden oder die zum Verfahren nicht auftauchen, riskieren Bußgelder von 400 bis 8.000 €. 

Keine Vorbereitung, aber eine Ehre?

Das alles impliziert, dass eine solche Volksjury ein Spiegel der Gesellschaft ist. „Alles andere wäre ein falsches Signal,“ sagte der erfahrene flämische Strafverteidiger Walther Dahmen dazu gegenüber VRT NWS. Dahmen sagte auch, dass es sich hier um ein Verfahren mit schwer verdaulichen Fakten handele, doch die Geschworenen würden darauf nicht vorbereitet, auch nicht auf eventuelle Grausamkeiten: „Das war schon öfter Gegenstand von Diskussionen, als bei Schwurgerichtsverfahren grauenhafte Bilder gezeigt worden. Als Anwalt sieht man oft, dass Leute damit nicht umgehen können und sich abwenden. Es ist aber nicht Ziel des Ganzen, dass Menschen danach Albträume bekommen.“

Das bedeutet, dass es keinen psychologischen Beistand gibt. Geschworene müssen teilweise abgeschirmt werden und sie dürfen zuhause nicht über die Inhalte des Verfahrens sprechen. Dies volle 9 Monate lang durchzuhalten, ist also sehr schwer. Auch bei den ebenfalls ausgelosten Vertretern, die möglicherweise einspringen müssen, wird das so sein. Und doch hält Strafverteidiger Dahmen die Teilnahme an einem Schwurgericht für eine Ehre: „Das ist die einzige Möglichkeit für die Bevölkerung, so nah bei einer Gerichtsbarkeit stehen zu können. Hier spricht das Volk, dass damit die Kontrolle über ein vollständiges Ermittlungssystem erhält. Wie grauenhaft es auch sein kann, es ist auch sehr schön, um daran teilnehmen zu können…“  

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