Sterben Berufe wie Stuckateur und Dachdecker aus? Einwanderer und Flüchtlinge springen ein, doch es gibt Missbrauch
Die Zahl der sogenannten Engpass- oder Mangelberufe in Belgien steigt. So finden Stuckateure und Dachdecker kaum noch Nachwuchs, denn die jungen Leute machen in dieser Hinsicht keine Berufsausbildung mehr. „Die Belgier sind nicht mehr bereit dazu, einen so schweren Job zu machen“, so ein Dachdeckermeister. Der Sozialwirtschaftliche Rat von Flandern (SERV) muss ebenfalls feststellen, dass Jugendliche für ein Handwerk oder für Jobs am Bau kaum noch zu motivieren sind. Inzwischen helfen Einwanderer und Flüchtlinge aus, doch leider gibt es dabei Missbrauch, wie z.B. zu Unrecht verliehene Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen.
Stuckateur, Dachdecker, Straßenarbeiter, Schreiner… Das sind Beispiele für Berufe, in denen die Zahl der offenen Stellen und der angebotenen Ausbildungen hoch sind, doch für die sich kaum noch jemand interessiert oder begeistern lässt. Der Sozialwirtschaftliche Rat von Flandern (SERV), ein Beratungsgremium, in dem sowohl Arbeitgeber-, als auch Arbeitnehmerverbände vertreten sind, stellt fest, dass es schon im Schulwesen kaum noch Fächer gibt, die in eine Handwerksrichtung lenken könnten.
Aktuell arbeiten in ganz Flandern noch rund 7.000 Dachdecker, etwa 7 % des gesamten Personalbestandes im Bauwesen. Aber, aktuell lassen sich hier nur 37 junge Leute als Dachdecker ausbilden und es steht zu befürchten, dass dieses Fach in den Berufsschulen bald nicht mehr angeboten wird.
In einigen Berufszweigen ist das im belgischen Bundesland Flandern bereits der Fall. Für Baustellenmaschinisten, Bauschreiner, Rohbauer, Bautechniker, Asphalt- und Betonarbeiter gibt es keine Ausbildungen mehr. Der SERV ruft dazu auf, dass sich das Unterrichtswesen und die Arbeitgeber besser aufeinander abstimmen sollten. Inzwischen zählt die Liste der Mangel- oder Engpassberufe in Belgien 270 Berufe. Dazu gehören spätestens seit Corona auch Berufe im Pflege- und Gesundheitsbereich.
Arbeitsmigranten, Flüchtlinge und Asylsucher
Wie schaffen es aber die Bauunternehmern, an geeignete Arbeitskräfte und Facharbeiter zu kommen? Sie setzen sehr oft auf Arbeitsmigranten z.B. aus Polen oder aus Rumänien. Rudy Evens, Geschäftsführer des Dachdeckerunternehmens Tectum Group, sagte gegenüber der flämischen Wirtschaftszeitung De Tijd, dass er über Ausbildungen kaum noch Personal findet. Er bildet inzwischen selbst aus und kann dafür in erster Linie Asylbewerber oder Flüchtlinge begeistern: „Die Belgier sind nicht mehr bereit dazu, einen so schweren Job zu machen.“
Die Probleme stapeln sich aber weiter auf, sowohl in Belgien im Allgemeinen, als auch in Flandern im Besonderen. Es werden weniger Ausbildungen angeboten und auch die Zahl der Lehrkräfte und Ausbilder in handwerklichen Berufen geht zurück und nicht zuletzt haben Handwerksberufe auch ein Imageproblem.
Das Bauwesen aber ist ein Sektor, der viele Stellen zu bieten hat und hier sind Berufe zu finden, die eigentliche eine Zukunft haben und die langfristige Job- und Arbeitsplatzgarantie bieten, z.B. die Engpassberufe Sanitär- und Heizungsinstallateur, wie es beim SERV heißt. Auch durch die Energiewende und die dazugehörenden baulichen Maßnahmen, wie Isolierungen oder der Einbau von Wärmepumpen sind hier viele Arbeitskräfte notwendig.
Betrug mit Aufenthaltsgenehmigungen
Seit 2019 bietet das belgische Arbeitsrecht die Möglichkeit, bei Engpassberufen auch auf Nicht-EU-Bürger zu setzen. Doch jetzt besteht der Verdacht, dass hier Missbrauch begangen wird. Dies betrifft die an einen Arbeitsplatz gebundene Aufenthaltsgenehmigung. Diese Genehmigung ermöglicht es Arbeitnehmern aus Ländern außerhalb der Europäischen Union länger als die eigentlich zugelassenen 90 Tage in Belgien zu bleiben. Die letztendliche Genehmigung müssen die Länder und Regionen erteilen.
Einer der Engpassberufe ist mittlerweile auch der Beruf des Bäckers. Aber im Ausland, speziell in der Türkei, ist der Bäckerberuf beliebt und hier sind die Fachkräfte gut ausgebildet. Und deshalb sind türkische Bäcker in Belgien auch so beliebt und begehrt. Dem belgischen Generalkonsulat in der türkischen Metropole Istanbul ist aber nach und nach aufgefallen, dass die Zahl der Anträge für Belgien sprunghaft ansteigt. Nach einer Meldung der flämischen Tageszeitung De Morgen hat eine Bäckerei aus Flandern versucht, gleich für 50 türkische Bäcker Anträge auf Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zu beantragen. Das belgische Konsulat hat daraufhin eine große Zahl an entsprechenden Anträgen etwas genauer unter die Lupe genommen und im Zuge dessen vor möglichem Betrug gewarnt.
Inzwischen liegen laut De Morgen in Flandern 130 Anträge von Türken auf Eis und in ganz Belgien soll es um insgesamt 700 Anträge gehen, die verdächtig sein könnten. Auffällig ist an diesen Fällen offenbar, dass die Antragsteller aus der gleichen Region in der Türkei kommen und dass die Anträge über einige wenige Vermittlungs- und Beratungsunternehmen geleitet wurden. Mittlerweile wird hier gemutmaßt, dass hier Menschen aus der Türkei nach Belgien gelotst werden sollen, die nicht wirklich für den Bäckerberuf qualifiziert sind.
Belgiens Asylstaatssekretärin Nicole de Moor und Flanderns Arbeitsminister Jo Brouns (beide CD&V) bestätigen laufende Ermittlungen auch gegen Arbeitgeber aus unserem Land, wie möglicherweise in diesen systematischen Betrug verwickelt sind.