Nicolas Lambert

Anwaltsbüro eines früheren belgischen Ministers verklagt die Türkei wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der belgische Rechtsanwalt und frühere Minister Johan Vande Lanotte (Foto) hat beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag Klage gegen die Regierung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eingereicht. Diese Klage wird dort von ICC-Chefankläger Karim Ahmad Khan behandelt. Dieser muss beurteilen, ob dem Verfahren, dass die Türkei wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagt, stattgegeben wird und ob es zu entsprechenden Ermittlungen kommen soll. Vande Lanotte reichte diese Klage im Namen eines Anwaltsbüros ein, für das er arbeitet und im Namen von zwei Vereinigungen. 

Ex-Minister Vande Lanotte arbeitet heute für das Anwaltsbüro Van Steenbrugge Advocaten. In dessen Namen und gemeinsam mit der Vereinigung „Türkei Tribunal“ und mit „Medel“, eine europäische Rechtsvertretervereinigung, reichte er beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Klage gegen die Türkei ein. Die Klage betrifft den Vorwurf, dass sich die Regierung Erdogan Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht habe.

Straftaten in 45 Ländern begangen?

Über 200.000 Menschen in der Türkei seien seit dem Antritt dieser Regierung Opfer von Folter, Verschwinden, Inhaftierung oder Verurteilung ohne Rechtsbeistand geworden, so die Klage. Dies sei zudem nicht nur in der Türkei selbst geschehen, sondern in insgesamt 45 Ländern, darunter auch Belgien, die unter die Gerichtsbarkeit des ICC fallen. Dieser Umstand ist für die Klage sehr wichtig, denn die Türkei hat die Römischen Verträge zum Internationalen Strafgerichtshof nicht ratifiziert.

1.300 detaillierte Zeugenaussagen

Das Anwaltsbüro von Johan Vande Lanotte hat insgesamt 1.300 detaillierte Zeugenaussagen von Opfern des türkischen Regimes aufgezeichnet und gesammelt, die vor dem ICC aussagen können. Dem Büro von Chefankläger Karim Ahmad Khan, ein britischer Staatsbürger, wurde eine 4.000 Seiten starke Anklageschrift übermittelt, die laut Van Steenbrugge Advocaten „systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und dies zum Vorteil für die Regierungspolitik“ behandeln. Hier ist das ICC also befugt.

Diese Straftaten würden schwer genug wiegen und „können als bewusste Missachtung der Basisprinzipien der internationalen Rechtsordnung“ angesehen werden, so die Anklage.

Wer ist verantwortlich?

Wer genau für diese Straftaten zur Verantwortung gezogen werden soll, Präsident Erdogan oder andere, wird in der Klage bewusst nicht präzisiert, so Johan Vande Lanotte gegenüber den belgischen Medien: „Das ist eine exklusive Zuständigkeit des Anklägers.“ Es könnte aber sein, dass hohe Funktionäre des Nato-Partners Türkei damit zu tun haben, die z.B. aus der Verwaltung oder aus der Politik kommen, so der frühere belgische Minister.

Diplomatische Folgen für Belgien?   

Ob Belgien aufgrund der Klage durch ein belgisches Anwaltsbüro, für das ein ehemaliger Minister tätig ist, negative diplomatische Folgen bei den Beziehungen zur Türkei befürchten muss, sei dahingestellt. 

Professor Marc Bossuyt von der Vereinigung „Türkei Tribunal“ ist der Ansicht, dass diese Klage nicht als eine feindliche Aktion gegen die Türkei anzusehen sei oder als Unterstützung für den vor einigen Jahren vereitelten Staatsstreich: „Es handelt sich hierbei um eine Unterstützung für die, die unter den schweren Schändungen der Menschenrechte zu leiden haben.“ 

Dies unterstreicht auch Johan Vande Lanotte, in dem er sagt, dass diese Klage nicht vom belgischen Staat aus erwirkt wird, sondern von einem Anwaltsbüro. 

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