Desinformation: Wie die Bilder des Bauernprotestes gegen die Stickstoffnorm in Flandern in den sozialen Medien missbraucht wurden
Am Freitag letzter Woche (3. März) haben fast 2.700 flämische Landwirte mit ihren Traktoren gegen die in ihren Augen zu strengen neuen Stickstoffnormen der Landesregierung demonstriert. Dabei sind sie in mehreren Kolonnen nach Brüssel gefahren, um dort vor dem Sitz der Landesregierung zu protestieren. Die entsprechenden Bilder gingen um die Welt, doch sie wurden völlig aus dem Kontext gerissen und für Fakenews und Fehlinformationen genutzt.
Die Bilder der flämischen Bauernproteste aus Brüssel wurden von ausländischen Gruppen als Protest „gegen die Eliten“, gegen die „globale Klimalobby“ und gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) gewertet und dementsprechend in den sozialen Medien aber auch in „seriösen“ Medien verbreitet.
Einer, der zum Beispiel die Bilder der langen Traktorenkolonnen auf dem Weg nach Brüssel missbrauchte, war der kanadische Psychologe Jordan Peterson, der den kanadischen Premierminister Justin Trudeau via Twitter beschuldigte, er würde als eine Art WEF-Minion den Untergang der Landwirtschaft „sponsoren“. Dessen Tweet wurde über 330.000 Mal angeklickt und 1.500 Mal geteilt.
Auch Twitter-Besitzer Elon Musk nutzte Bilder der Bauerndemo und mitzuteilen, dass er zwar „für das Klima“ sei aber „nicht auf Kosten der Bauern“. Eine Einzelperson wiederum brauchte die Brüsseler Traktorenbilder aus der belgischen Hauptstadt, um über Twitter mitzuteilen, dass „tausende Bauern in Brüssel gegen die globalistischen WEF-Psychopaten protestieren, die versuchen, die Lebensmittelkette zu vernichten.“
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Wovor haben die Leute Angst, die so reagieren?
In vielen Fällen liegt eine grundlegende Angst vor einer umfassenden Kontrolle von Staaten und Behörden, z.B. das WEF oder die EU, als Ursache vor, sich zu solchen Falschmeldungen und aus dem Kontext gezogenen Quellen hinreißen zu lassen.
Nach den weitweiten Protesten gegen die Corona-Maßnahmen sehen ausländische Accounts in den Bauernprotesten in Brüssel wohl erneut einen „Freiheitskampf zwischen einer „unterdrückten Mehrheit“, sprich dem Volk und den „unterdrückenden Regierungen.“ Vergleiche mit der Falschinterpretation der Brüsseler Bilder mit denen von Trucker-Protesten in Kanada oder auch von protestierenden Landwirten in den Niederlanden in der Vergangenheit sind denn auch nicht weit zu suchen.
Solche, die den Hintergrund der eigentlichen Proteste gegen die Stickstoffnormen in Flandern verstanden haben, nutzen dies allerdings auch gerne als „Strategie des Weltwirtschaftsforums, mit der im Hintergrund eine Neuordnung der Welt installiert werden soll.“ Verschwörungstheoretiker sehen in jedem Ereignis auf der Welt einen Unterdrückungsversuch: Corona, Einmischung in Wahlen, Stickstoff- und andere Umweltdebatten… Doch konkrete Beweise werden nie vorgelegt und alles geschieht auf Basis von freien Interpretationen von Meldungen klassischen Medien, die ja ohnehin als Teil der Verschwörung gebrandmarkt werden.
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Die Stickstoffdebatte in Flandern ist eine regionale Umweltdebatte
Die derzeit im belgischen Bundesland Flandern teilweise hitzig geführte Debatte zum Thema Stickstoffausstoß hat natürlich nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass irgendwer irgendwann die Bevölkerung aushungern lassen will. Rein technisch betrachtet ist die noch nicht einmal eine Klimadebatte. Es handelt sich hier um eine regionale flämische Umweltdebatte.
Stickstoffoxyde und Ammoniak, die sich innerhalb der Produktion in der Landwirtschaft und der Industrie bilden, haben in erster Linie negativen Einfluss auf die lokale Flora und Fauna, auf die Gesundheit der Menschen in der direkten Umgebung und unter Umständen auch auf die Qualität des Grundwassers. Aber, Stickstoff ist kein Treibhausgas und hat damit auch keine Auswirkungen auf das Klima.
Europa ist hier (fast) nicht betroffen
In dieser Diskussion spiele sogar die Europäische Union nur eine untergeordnete Rolle. Die EU führt keine eindeutige Stickstoffpolitik mit Grenzwerten oder Richtlinien. Im Gegenteil. Sie überlässt die entsprechende Verantwortung ihren Mitgliedsländern bzw. deren Ländern und Regionen. Innerhalb der EU betrifft diese Stickstoff-Debatte in erster Linie das belgische Bundesland Flandern und das Nachbarland Niederlande, nicht zufällig Regionen, in denen eine intensive Landwirtschaft vorherrscht.
Die EU fordert lediglich alle 6 Jahre einen Bericht zu den gemessenen Stickstoffwerten in der direkten Umgebung von Natura-2000-Schutzgebieten. Das sind von der Union anerkannte Naturschutzgebiete, die aufgrund ihrer Biodiversität verpflichtet geschützt werden müssen. In der Praxis ist es aber wohl so, dass die meisten EU-Mitgliedsländer oder deren Länder und Regionen diese Zahlen nicht einreichen, denn dies ist keine Pflicht…